Der Turm der St. Marienkirche in Isernhagen KB

Stiftung St. Marien Isernhagen. G. Grunewaldt-Stöcker, Januar 2021

Mit der Umgestaltung des Turmraumes in einen freundlich einladenden Raum der Begegnung möchte die Kirchengemeinde St. Marien allen Besuchern ein herzliches Willkommen entgegen bringen, wenn sie zu verschiedenen Anlässen darin verweilen. Heller, wärmer, mit neuem Mobiliar, sollen verschiedene Möglichkeiten der Nutzung die Gemeinschaft vor Ort beleben und fördern. Der Kirchturm hat eine lange Geschichte, aber über die wechselnden Funktionen des Turmraumes ist gesichert nur wenig bekannt. Ursprünglich vom Kirchenschiff getrennt, sollen während des Dreißigjährigen Krieges Menschen aus Isernhagen mitsamt Vieh im Turm Schutz vor mordenden Soldaten gefunden haben. Marlies Bertram berichtete im Kirchenführer der St. Marien Kirchengemeinde1 von Plünderei und Brandschatzung durch dänische und später kaiserliche Truppen im Jahr 1626.

Auch Pastor Volker Buttler beschrieb Details aus der Kirchengeschichte1:

Mit zunehmendem Wohlstand durch den Hopfenhandel zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde das Glockengeläut erweitert. Bis dahin wurden die Isernhägener nur von der alten Marienglocke aus der Zeit der Erbauung des Kirchturms zum Gottesdienst gerufen. 1717 errichtete Zimmermeister Lindemann einen Glockenstuhl aus starken Eichenbalken mit der Inschrift: „Sooft ich hör den Glockenschlag, daß ich mein Ende bedenken mag.“ Hier fanden nun zwei weitere Glocken ihren Platz, die später aber neu gegossen werden mussten. – Seit 1765 gibt es die Turmuhr; die alte Marienglocke dient bis heute als Uhrschlagglocke.

In den Jahren 1937-1939 kam es zu einer grundlegenden Kirchenrenovierung: Sämtliche Kirchenplätze wurden aufgehoben, zwei Emporen abgebaut, die Orgelempore um eine Reihe erweitert. Beim Umbau wurden alte wertvolle Wandgemälde entdeckt und wiederhergestellt. Die Seiteneingänge verschwanden; dafür wurde der Eingang durch den Turm ermöglicht. Das Erdgeschoss des Turmes wurde zu einer Eingangshalle umgebaut. Sebastian Heim2 berichtet von der Einweihung der Turmhalle 1959 zur Gedenkstätte für die Opfer des zweiten Weltkrieges mit Ehrentafeln, die nun im Chorraum aufgehängt sind. Er erwähnt auch, dass die beiden Turmfenster früher mit Buntglas ausgestattet waren; davon gibt es leider kein Zeugnis mehr.

Zur Baugeschichte des Turms stellte der Kunsthistoriker Ulfried Müller1 verschiedene Fakten zusammen:

„Die Errichtung von Schiff und Chor ist in der Mitte des 15. Jh. um 1450 anzusetzen, des Turms um 1500, der alten Sakristei/Liekhus nach 1500; die neue Sakristei entstand 1703/ wurde nach Abriss 1967 erneuert. Die Westwand des Schiffes zum Turm ist knapp 4 ½ Fuß (135 cm) stark. Nur wenige Jahre nach der Fertigstellung wird der Kirche der mächtige Turm im Westen vorgesetzt. Seine handwerkliche Qualität entspricht nicht mehr der des Kirchenschiffes und des Chores. Der sockellose Körper mit 11,30 m Breite und 9,45 m Tiefe steigt ohne Rücksprünge oder Gesimse bis auf 24 m hoch; der von einer acht- in eine viereckige Pyramide übergehende Turmhelm ragt rund weitere 21 m auf. Die Struktur der gut 6 Fuß [1Fuß= 31 cm] dicken Wände ähnelt der des Schiffes: Raseneisenstein in den Flächen, Kalk, und Sandstein an den Ecken. Bedeutend ist jedoch, daß große Fugen mit Ziegelbrocken von Dach- und Mauerziegeln ausgefüllt sind. Während die Umrahmungen der kleinen Öffnungen – darunter zwei Spitzbogenfensterchen mit Dreipässen – aus Kalkstein bestehen, wurden die Rahmen der großen Öffnungen aus Ziegelsteinen mit den Maßen 28/12/8 cm hergestellt. Das spitzbogige Nordportal hat abgetreppte Leibungen auf schrägem Natursteinsockel, die aus ½ steinigen Ziegelsteinschichten in zwei Mustern aufgemauert sind. Ein doppelwulstiger Stein wechselt mit einem doppelt gekehlten Stein. Der Aufbau der acht Schalluken im obersten Geschoß ist ähnlich dem des Nordportales. Auch hier wurden – wie am Turmgesims – Ziegelsteine im Format 28/2/8 cm vermauert; die Formsteine gleichen denen am Portal.

Wegen des Putzes ist nicht erkennbar, ob die Turmhalle für eine Einwölbung eingerichtet war. Jetzt besteht die Decke, wie die der oberen Geschosse, aus grob behauenen dicken Eichenbalken. Der Zugang vom Turm zum Dachstuhl des Schiffs ist in der Turmkammer akkurat angelegt, die Öffnung zum Kirchendachstuhl des ehemaligen Schiffswestgiebels jedoch nur grob ausgehauen. Die Turmostwand legt sich mit 1 Fuß Stärke auf den ehemaligen Absatz des Westgiebels in Traufhöhe auf. Die Baunaht zwischen Turm und Schiff, das neue Material Ziegelstein, der grob ausgestemmte Durchgang zum Schiffsdachboden und der fehlende Sockel sind Beweise für die spätere Bauzeit zwischen 1450 und 1500.“

An der Westseite des Kirchturms befindet sich unten eine in die Wand eingelassene Sandsteinplatte mit einer lateinischen Inschrift, die nur noch teilweise lesbar ist. Übersetzt steht dort: „Am 8. Sept. 1354 am Tage der Geburt Maria ...“. Das Datum auf diesem Eckstein ist nach Ulfried Müller aber nicht mit der Entstehungszeit von Chor und Schiff in Einklang zu bringen. Es könnte für den Tag der Grundsteinlegung einer älteren Marienkapelle oder für die Kirchweih von St. Marien stehen.

Die ebenfalls in der Westseite eingelassenen Sühnekreuze sind nach Angaben des Institutes für Denkmalpflege im Niedersächsischen Landesverwaltungsamt3 als mittelalterliche Rechtsdenkmale anzusehen. Solche Kreuzdarstellungen in Sandstein wurden insbesondere vom 13. bis zum 16. Jahrhundert für Menschen gesetzt, die eines plötzlichen und gewaltsamen Todes gestorben waren. Der Täter oder die beteiligte Sippe war gehalten, als Sühneleistung Kreuzsteine zu errichten und Messen zum Seelenheil des Verstorbenen lesen zu lassen.

 

Der Portalschmuck an der Eingangstür zum Turm wurde von Siegfried Prütz (* 1900, † 1939) geschaffen, einem der bekanntesten Schmiedekünstler3 seiner Zeit, der auch in Isernhagen KB lebte. Er war seit 1929 Professor für Metallgestaltung an der Kunstgewerbeschule in Hannover und stellte die unterschiedlichsten filigranen Schmiedewerke (u.a. Gitter und Figuren, Leuchter, Sonnenuhren) in öffentlichen und privaten Räumen her. Das vergoldete schmiedeeiserne Kreuz wird mit Förderung durch die Stiftung St. Marien 2021 restauriert.

Alle Fotos: G. Grunewaldt-Stöcker

1Quelle: Aus Texten von Marlies Bertram, Volker Buttler und Ulfried Müller im Kirchenführer „St. Marien zu Isernhagen“, Schnell, Kunstführer Nr. 1610, 1. Auflage 1986; Verlag Schnell & Steiner GmbH & Co. München und Zürich

2Quelle: Sebastian Heim. St. Marien in Isernhagen K.B. Hrsg. Ev.-luth. St. Marien-Kirchengemeinde Isernhagen. 2008

3Quelle: W. Müller/ G.E.H. Baumann. Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg: vorhandene und verlorengegangene Rechtsdenkmale und Memorialsteine. Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen 5. Verlag CW Niemeyer, 1988.

4Quelle: Simon Benne. Der Mann, der mit Eisen malte. Hannoverschen Allgemeine vom 18. Juli 2020, Nordhannoversche Zeitung Seite 2